Gute Tischgespräche bleiben in Erinnerung: Bruno (ganz links) und Rosina (ganz rechts) sitzen mit ihren Kindern Kerstin und Horst 
und der Familie von Bruno beisammen und geniessen einen guten Schluck.
Gute Tischgespräche bleiben in Erinnerung: Bruno (ganz links) und Rosina (ganz rechts) sitzen mit ihren Kindern Kerstin und Horst und der Familie von Bruno beisammen und geniessen einen guten Schluck.
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Eine Glace Surprise aus dem Ofen

War die Kindheit von Rosina und Bruno Gfrerer noch von einfacher Kost wie Innereien geprägt, wurden die Rezepte mit dem wirtschaftlichen Aufschwung immer aufwendiger. Rosinas ständiger Begleiter: das Kochbuch von Elisabeth Fülscher.

Von Simone Klemenz

Ihr Lieblingsessen? Darüber sind sich Rosina und Bruno Gfrerer einig: Tiroler Speckknödel mit Sauerkraut.

Deswegen kam das Menü bei den Gfrerers auch oft auf den Tisch. «Das hast du immer hervorragend zubereitet», schwärmt Bruno. «Schon meine Mutter kochte dieses Gericht regelmässig und hat mich in dessen Zubereitung eingeweiht», erzählt Rosina, die in Olang im Südtirol aufgewachsen ist. «Grashalm» wurde die gebürtige Italienerin von ihrem Umfeld im Kindesalter genannt, «ich war so dünn». Ihre Mutter schickte sie daher über die Sommermonate auf einen Bauernhof im Nachbardorf, wo sättigende Bauernkost serviert wurde. «Wir sassen alle um den Tisch herum und assen aus einer riesigen Pfanne ein mit Rahm verfeinertes Mus, das ein bisschen wie Polenta schmeckte.»

Hauptsache satt

Innereien mit Sauce. Das kommt Bruno in den Sinn, wenn er an seine Kindheit und an Kulinarik denkt. «Damals ging es in erster Linie darum, den Hunger zu stillen», sagt Bruno, geboren 1930 in Bludenz im österreichischen Vorarlberg. «Solange ich etwas zu essen hatte, war ich froh.» Zwar ass Bruno nicht ungern Innereien, heute finden sie jedoch kaum mehr den Weg auf seinen Teller. Eine Tradition von früher hat Bruno aber bis heute beibehalten. «Bereits mein Vater ass jeden Morgen Porridge.» Und so tut es der nun 91-Jährige bis heute.

«Damals ging es in erster Linie darum, den Hunger zu stillen. Solange ich etwas zu essen hatte, war ich froh.»

Eine Stelle als Zimmermädchen bei einer reichen Arztfamilie veranlasste Rosina 1949 dazu, in die Schweiz nach Winterthur zu kommen. «Ich habe das Kochen von meiner Mutter und in der Hauswirtschaftsschule, aber auch von der Köchin der Familie Dubs gelernt.» An Weihnachten gab es bei den Dubs jeweils belegte Brötchen – eine Tradition, an der Rosina noch lange festhielt, sehr zum Gefallen von uns Enkelinnen. 1952 zieht es auch Bruno nach Winterthur, er beginnt für das Unternehmen Sulzer zu arbeiten.

Viele Details: Die Speisen im Fülscher Kochbuch sind oft aufwendig.
Viele Details: Die Speisen im Fülscher Kochbuch sind oft aufwendig. Credit: Fülscher Kochbuch

Die beiden begegnen sich zum ersten Mal im Kino. Richtig aufgespürt hat Rosina ihren Bruno dann aber im Österreicher Club, wo sich Landsfrauen und -männer zu Tanz und Trank trafen. «Ich habe Bruno jeweils auf der Tanzfläche gesucht – vergeblich», erzählt Rosina und lacht. «Dabei stand er immer auf der Bühne und spielte Ziehharmonika.»

Rosina und die «Kochbibel»

Was an ihrer Hochzeit 1954 in Innsbruck genau serviert wurde, ist weder Rosina noch Bruno in Erinnerung geblieben. Es sei auf jeden Fall etwas Einfaches gewesen. Rosina weiss jedoch noch genau, was sie Jahre später ihrer Tochter Kerstin zur Hochzeit geschenkt hat: das Kochbuch von Elisabeth Fülscher. «Ich habe so gut wie immer nach dem Fülscher-Kochbuch gekocht.» Heute wäre das aber nicht mehr das Richtige, meint Rosina. «Im Fülscher sind alle Rezepte sehr kalorienreich, das passt nicht zu dem gesunden Trend, der derzeit vorherrscht.»

«Im Fülscher sind alle Rezepte sehr kalorienreich, das passt nicht zu dem gesunden Trend, der derzeit vorherrscht.»

In der Tat finden sich im Fülscher interessante Kochideen: So wird auf einer Seite erklärt, wie man eine «grosse, fette Ente» zubereitet. Zwischen 1934 und 1966 hat Elisabeth Fülscher das Buch mehrmals überarbeitet: Die Rezepte verkörpern den damaligen gutbürgerlichen Lebensstil ebenso wie den Stand der Ernährungslehre jener Zeit. Während die Ausgabe aus dem Kriegsjahr 1940 spezielle Abschnitte zur Rationierung und der daraus erforderlichen besseren Ausnützung der Nahrungsmittel beinhaltet, widerspiegeln spätere Ausgaben den wirtschaftlichen Aufschwung der 1950er-Jahre.

Exotische Geschmäcker

England, 1958: In den Strassen von Derby duftet es nach frittiertem Essen. «Fish&Chips war damals hoch im Kurs bei uns», sagt Rosina. Ganz einfach, Take-Away über einen Stand. «Ansonsten hat uns die englische Küche nicht gross imponiert.» Und Bruno wirft ein: «Ausser der Whiskey.» Die kleine Familie – auf Tochter Kerstin folgte Sohn Horst – verbringt in den 50er-Jahren zwei Jahre in England, da Bruno als Ingenieur ein Projekt für die Firma Sulzer leitet. Es soll bei weitem nicht die letzte Auslandsreise bleiben: Japan, Frankreich, Kanada, Argentinien, Italien (Bruno entdeckt Pizza und Espresso!) – für seinen Beruf reist Bruno um die Welt und taucht in verschiedene kulinarische Kulturen ein.

So leben die Gfrerers in den 1960er-Jahren als Familie in Frankreich. «In Paris habe ich richtig essen gelernt, mit Vorspeise, Hauptgang und Dessert», sagt Bruno, damals 35-jährig und unter seinen Arbeitskollegen als «Monsieur Calvados» bekannt, da er in Kundengespräche oft mit einem Glas Calvados einstieg. Rosina kocht derweil vorwiegend unkomplizierte schweizerische oder österreichische Gerichte – es bleibt schlicht, zu klein ist die Pariser Küche.

Lomo und Tomaten

Nicht immer ist Rosina auf den Reisen mit dabei. Die Kinder bleiben mit fortschreitendem Alter zunehmend in der Schweiz. Was also ass Bruno, der selbst nie kochen gelernt hatte, allein im Ausland? «Ich habe früher gerne viele verschiedene Sachen ausprobiert», sagt er. Auf einer geschäftlichen Japanreise lernt Bruno so Sushi kennen. Nur Rosinen waren ihm schon immer ein Graus. «Oft kam dann der Punkt, an dem ich dachte: Die Heimküche täte jetzt auch wieder ganz gut.»

In Japan entdeckt Bruno Gfrerer bei einem Geschäftsessen Sushi.
In Japan entdeckt Bruno Gfrerer bei einem Geschäftsessen Sushi.

Seit 1972 heizt Rosina immer wieder das gleiche Backrohr in ihrem Haus in Winterthur ein. Die 89-Jährige schätzt, dass sie in ihrem Leben durchschnittlich etwa fünf Stunden täglich in der Küche stand. «Kochen war meine Hauptbeschäftigung.» Regelmässig fanden sich am Tisch der Gfrerers Arbeitskollegen von Bruno ein. Bei diesen Gelegenheiten wurde jeweils aufgetischt. Die Rezepte, die Rosina nach dem Fülscher Kochbuch zubereitete, waren aufwendig und verlangten stundenlange Arbeit. Auf dem Tisch landeten kulinarische Kunstwerke – die auch mal einen exotischen Touch haben konnten.

Nach einem Aufenthalt in Argentinien brachte das Ehepaar viel gefrorenes Fleisch mit. Dieses «Lomo», serviert mit frischen Tomaten, wurde zum Star in Rosinas Küche. Gab es zum Dessert auch noch eine «Omelette Surprise» nach Elisabeth Fülscher – ein Eiscake, in Meringue gehüllt, der im Ofen gebacken wird und somit aussen heiss und innen eiskalt ist – waren Rosinas Gäste ihrer Küche definitiv verfallen. Auch unter uns Enkelinnen ist die Omelette bekannt. Ich frage mich noch heute, wie es genau möglich ist, dass die Glace im Ofen so kalt bleibt.

Eine Kiste hat den Nachhauseweg von Argentinien nicht geschafft. «Sie wurde aufgebrochen, einige Sachen wurden gestohlen», sagt Rosina. Darunter: Zahlreiche von Hand geschriebene Rezepte und die Kochbibel. Gut möglich, dass heute also irgendwer irgendwo in Argentinien seinen Gästen eine Omelette Surprise serviert. In der Küche waltet Rosina heutzutage zwar kaum mehr, zu anstrengend ist das lange Herumstehen. Aber ihre Rezepte bleiben so oder so legendär.

Essen wie zu Grossmutters Zeiten

Benel Kallen

Was auf dem Tisch landet, sagt viel über die Umstände jener Zeit aus. Nach der goldenen Ära der 20er-Jahre bis Anfang der 50er-Jahre war aufgrund des zweiten Weltkrieges die Zeit des Entbehrens und der Selbstversorgung angesagt. Aus dieser Epoche stammen zahlreiche Rezepturen und Gerichte, die derzeit im Rahmen des «Clean Eatings» wieder neu aufgetischt und gekocht werden.

Clean Eating, ein Begriff, der vor ein paar Jahren aus England zu uns hinüberschwappte, könnte also durchaus für die Küche unserer Grosseltern stehen. Das englische Wort «clean» bedeutet in diesem Zusammenhang «unverfälscht» − genau so, wie die Küche älterer Generationen noch war. Auf dem Speiseplan der sogenannten «Clean Eaters» stehen vor allem Obst, Gemüse, Fisch und Fleisch. Dazu kommen Vollkornprodukte, Milch und traditionell daraus hergestellte Erzeugnisse wie Käse und Naturjoghurt. Auf Farbstoffe, Geschmacksverstärker und Süssstoffe wird hingegen verzichtet. Produkte, die eingeschweisst oder in Plastik verpackt sind, gehören nicht in den Einkaufswagen. Essen und Kochen wie zu Grossmutters Zeiten soll so naturbelassen wie möglich sein. Als grosses Tabu gelten Fertigprodukte oder Produkte, die nicht saisonal verfügbar sind.

Zeitintensives Kochen

Wir alle können uns gut daran erinnern, dass die Grossmutter oder vereinzelt auch der Grossvater nicht erst um fünf vor zwölf die Küche aufsuchte, um ein nahrhaftes und leckeres Mittagessen zuzubereiten. Ein frisches, saisonales und schmackhaftes Essen auf den Tisch zu bringen, braucht Zeit. Wer sich also von früheren Kochprozessen inspirieren lassen will, kann sich am Konzept des «Clean Eatings» orientieren, schnipselt saisonales Gemüse zu einer feingewürfelten Brunoise, mischt das Müesli von Hand und verfeinert es mit einer Auswahl an Haferflocken, Nüssen und getrockneten Früchten.

Wer nicht selbst Hand anlegen möchte oder sich erst mal inspirieren lassen will, kann es sich auch in einem Restaurant gemütlich machen, das sich dieser Küche verschrieben hat.

Die Konzepte «Grossmutters Zeiten» oder auch «Traditionell, gut bürgerlich» werden in den verschiedenen Gaststätten allerdings sehr breit ausgelegt. Was sie aber eint: Die Gerichte werden mit Liebe, naturbelassenen Komponenten und viel Zeit zubereitet.

Eine kleine Auswahl davon finden Sie, nach Regionen geordnet, im Kasten unten.

Bern

Della Casa: Eine der ältesten Berner Gaststätten. della-casa.ch

Brasserie Bärengraben: Authentische französische Küche. brasseriebaerengraben.ch

Restaurant Harmonie: Es gibt nicht nur Käsefondue. harmonie.ch

Klötzlikeller: Suure Mocke oder Kalbsleberli. kloetzlikeller.ch

Basel

Restaurant Gifthüttli: Feine geschmorte Lammhaxen. gifthuettli.ch

Fischerstube: Geschmortes Schweinskopfbäggli. restaurantfischerstube.ch

Restaurant zum Torstübli: Markbein aus dem Ofen mit Fleur de Sel. torstuebli.ch

Westschweiz

La Bavaria: Lokal typisches Sauerkraut. labavaria.ch

Auberge du Vigneron, Epesses: Waadtländer Saucisson auf Linsen. aubergeduvigneron.ch

Au Vieux Navire, Buchillon: Eglifilet «à la Mode vieux navire». auvieuxnavire.ch

Zürich

Drei Stuben: Quartierbeiz im Retro-Chic. dreistuben.ch

Kronenhalle: Der Balleronsalat. kronenhalle.ch

Geeren: Schwartemage oder Ochsenmuulsalat. geeren.ch

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