Die farbigen Holzhäuschen im Stadtteil Bryggen im Zentrum von Bergen gehören seit 1979 zum Unesco-Weltkulturerbe.
Die farbigen Holzhäuschen im Stadtteil Bryggen im Zentrum von Bergen gehören seit 1979 zum Unesco-Weltkulturerbe. Credit: Adobe Stock
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Regenreiche Kulturstadt

Das überschaubare Städtchen Bergen an der Westküste Norwegens atmet Welt. Einst war es die grösste Stadt Skandinaviens und Umschlagplatz für den Handel zwischen Süd und Nord. Heute ist es ein Magnet für Touristen und Literaten.

Andreas Zurbriggen

So wirklich Postkartenidyll will an diesem Morgen nicht aufkommen im Stadtteil Bryggen im Zentrum von Bergen, wo die berühmten bunt angemalten Holzhäuser gedrängt aneinanderkleben.

Eine vielbefahrene Autostrasse dicht neben dieser Hauptsehenswürdigkeit? Darauf hat uns kein Reiseprospekt vorbereitet. Schnell wird uns klar: Bergen ist keine museale Stadt für Touristen, sie ist ein lebendiger Tummelplatz für Sehnsuchtshungrige und für Menschen, denen schlechtes Wetter nichts anhaben kann.

248 Regentage verbucht die Statistik für Bergen. Das macht sie zur regenreichsten Grossstadt Europas. Es ist womöglich gerade das schlechte Wetter, das die Stadt zu einem Anziehungspunkt für Schriftsteller werden lässt. Einer davon ist Tomas Espedal, der bekannteste Flaneur der Stadt und Autor von Weltrang, dem man auch schon mal im berühmten Café Opera, Treffpunkt der einheimischen Künstler, in der Nähe des Theaters «Den Nationale Scene» begegnen kann.

«Warum leben einige von uns hier? Es regnet so viel und das Klima ist so demütigend, deprimierend und unmenschlich, dass einige von uns gut arbeiten können. Das ist der einzige Grund.»

Einst verriet der heute 59-Jährige in einem Interview, weshalb er seinem Geburtsort nach einigen Aufenthalten im Ausland nun wieder die Treue hält: «Warum leben einige von uns hier? Weil man arbeiten kann. Es regnet so viel und das Klima ist so demütigend, deprimierend und unmenschlich, dass einige von uns gut arbeiten können. Das ist der einzige Grund.»

«Tor zu den Fjorden»

Ob es wirklich der einzige Grund ist? Sicher bleibt: Trotz seiner überschaubaren Grösse und seinen lediglich 280 000 Einwohnern atmet Bergen Welt.

Auch ein Ausflug zum Sognefjord, 
das nördlich der Stadt liegt, lohnt sich.
Auch ein Ausflug zum Sognefjord, das nördlich der Stadt liegt, lohnt sich. Credit: visitnorway.com

Die nach Oslo einwohnerreichste Stadt Norwegens ist heute als «Tor zu den Fjorden» bekannt und war einst ein wichtiger Handelsort der deutschen Hanse-Städte sowie grösste Stadt Skandinaviens im 17. Jahrhundert. In der Bucht Vågen, die tief in die Stadt hineinreicht, kann man Schiffen unterschiedlichster Couleur nachschauen: Grossen Kreuzfahrtschiffen, welche die von Postschiffen befahrenen Hurtigruten-Strecken in Angriff nehmen, Segelschiffen, die zu unbestimmbaren Zielen aufbrechen, aber auch Öltankern und Kiesfrachtern, welche dem Hafen eine urtümliche Atmosphäre verleihen. Spätestens wenn man um die Halbinsel Nordnes, einem Stadtteil von Bergen, spaziert, packt einen endgültig das Fernweh, mit einem Schiff in einen Fjord hineinzufahren.

Der Stadt entschweben

Die Stadt befindet sich zwischen den zwei längsten Fjorden Europas: dem Sognefjord und dem Hardangerfjord. Als Tagestour bietet sich etwa ein Ausflug auf dem nördlich der Stadt gelegen Sognefjord an. Vorbei an mit Wäldern gesäumten Bergen und pittoresken Wasserfällen endet die Schiffsreise in Flåm, wo man auf die Flåmbahn, der steilsten normalspurigen Eisenbahn der Welt umsteigen und bis Myrdal fahren kann. Von dort bringt einen ein Zug zurück nach Bergen.

Und wer kurz der Stadt entschweben will? Den berühmten Hausberg Fløyen kann man vom Stadtzentrum aus bequem mit der Standseilbahn erreichen.
Und wer kurz der Stadt entschweben will? Den berühmten Hausberg Fløyen kann man vom Stadtzentrum aus bequem mit der Standseilbahn erreichen. Credit: visitnorway.com

Bergen kann man aber auch auf andere Weise entschweben. Von sieben Hausbergen ist die Stadt umgeben. Der berühmteste ist Fløyen, den man bequem vom Stadtzentrum per Standseilbahn erreicht. Von dem 399 Meter über Meer liegenden Berg hat man eine fantastische Sicht auf Bergen und auf das Byfjord, an dem die Stadt liegt. Relativ mühelos kann man den Rückweg per Zickzackstrasse unter die Füsse nehmen oder den Abstecher mit einer Wanderung auf den höchsten Hausberg, den Ulriken, kombinieren. Rund fünf Stunden dauert die Wanderung über die Gebirgshochfläche «Vidden» auf den 643 Meter hohen Berg. Per Seilbahn und Bus kommt man zurück in die Stadt, wo wir uns im Stadtteil Bryggen im Restaurant «Bryggeloftet & Stuene» mit vorzüglichem Kabeljau stärken.

Lachsbrötchen am Fischmarkt

Norwegen ist für seine bodenständige Küche bekannt. Fisch wird dabei puristisch mit ein paar Kartoffeln serviert. Mehr braucht es nicht. Die Qualität des Fisches, insbesondere des Lachs, strahlt über die Landesgrenzen hinaus. Nicht entgehen lassen darf man sich in Bergen daher ein Besuch des Fischmarkts «Torget» – der nebst den bunten Holzhäusern in Bryggen zweifelsfrei zu den bekanntesten Sehenswürdigkeiten der Stadt zählt.

Die bunten Holzhäuser zählen zu den bekanntesten Sehenswürdigkeiten in der Stadt Bryggen.
Die bunten Holzhäuser zählen zu den bekanntesten Sehenswürdigkeiten in der Stadt Bryggen.

Dort wird nicht nur fangfrischer Fisch verkauft, es lassen sich auch Lachs­brötchen degustieren oder sonstige Köstlichkeiten schlemmen. Nur wenige Gehminuten daneben findet sich der wohl schönste Platz Bergens, der Torgallmenning, der sich auf eine Länge von 150 Metern erstreckt und von Einkaufszentren gesäumt wird.

Ein trauriges Lied

Die Geschichte des Torgallmenning reicht dabei bis ins Jahr 1582 zurück. Damals wurde der Platz zum Schutz vor weiteren Bränden mitten in der Stadt als Schneise angelegt. Bergen fiel in seiner Geschichte mehreren grossen Stadtbränden zum Opfer. Einige waren so verheerend, dass das Feuer die Schneise überwinden konnte. Immer wieder wurde die Altstadt neu aufgebaut. Seit 1979 steht das Hanseviertel Bryggen mit seinen 60 Gebäuden auf der Liste des Unesco-Weltkulturerbes.

Ein letztes Mal verlassen wir die Stadt, um diesmal im zehn Kilometer entfernten Troldhaugen das Haus des wohl berühmtesten Bewohners von Bergen zu besichtigen, des Komponisten Edvard Griegs. Eigentlich sollte ich mich auf der kurzen Busfahrt dorthin mit dem traumhaft schönen Adagio aus seinem Klavierkonzert in a-Moll oder zumindest mit einem unglaublich suggestiven Klavierlied, wie demjenigen mit dem Titel «Zur Rosenzeit» einstimmen, doch einem Ohrwurm der norwegischen Sängerin Frøkedal bin ich total verfallen: «The man who isn't there» erklingt in meinen Kopfhörern in Endlosschleife.

Der Blick auf die Bucht mit dem kleinen Komponierhäuschen setzt uns in Verzückung.
Der Blick auf die Bucht mit dem kleinen Komponierhäuschen setzt uns in Verzückung. Credit: Felicitas Zurbriggen

Die traurige Melodie und den nicht minder traurigen Text dieses Liedes summend besichtige ich die Räumlichkeiten des Komponisten, bald aber horche ich doch noch Grieg'schen Klängen. Im neben der Wohnstätte des Komponisten gebauten Kammerkonzertsaal erklingt in einem «Lunchkonzert» seine Klaviermusik.

Ein Komponierhäuschen aus Holz

Nicht nur die Musik setzt uns dort in Verzückung, sondern auch der Blick auf die Bucht mit dem kleinen Komponierhäuschen. Einige Schritte trennen uns noch von dieser Holzhütte, die lediglich mit Pult, Klavier, Sofa und einem Ofen ausgestattet ist. Mehr braucht ein Komponist nicht. Mit solch einer Aussicht verwundert es kaum, welch himmlische Werke es Grieg zu schreiben gelang.

«Halte den Zug an / Halte die Morgenröte an / Halt' die Autos zurück und mach die Strasse frei», singt Frøkedal auf der Rückreise in meinen Kopfhörern. Bei der Ankunft in Bergen überkommt uns die Lust, zum Abschluss unserer Reise der Statue des Nationaldichters Henrik Ibsen einen Besuch abzustatten, der einige Zeit in Bergen lebte. Bei dieser Statue sieht Ibsen aus wie eine Flasche. Ob das ein unterschwelliges Statement des Künstlers ist? Vis-à-vis verlässt mit klobigen schwarzen Stiefeln und schwarzem Mantel ein Mann das Café Opéra. Gut möglich, dass der Schriftsteller Tomas Espedal nun der Abenddämmerung entgegenflaniert.

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