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Der Strommarkt ist in Aufruhr

Der Ukrainekrieg zwingt hiesige Versorger zur Suche nach Alternativen zu russischem Gas. Selbst Stromproduzenten profitieren nur begrenzt von Preisexzessen.

Sylviane Chassot

Christian Petit nimmt kein Blatt vor den Mund: «Unsere Beschaffungspreise für Energie sind derzeit höher als unsere Verkaufspreise.» Er ist Chef des Westschweizer Energieversorgers Romande Energie. Das Unternehmen produziert ein Fünftel des Stroms selbst, den es an 280’000 Kunden verkauft. Den Rest kauft es am Markt zu. Dort steigen die Preise bereits seit vergangenem Herbst.

«Um Weihnachten dachten wir, das Schlimmste sei überstanden», erinnert sich Petit. Damals kostete die Kilowattstunde Strom zeitweise bis zu 50 Rp., während Romande Energie den Haushaltkunden lediglich den einmal jährlich bestimmten Tarif von weniger als 10 Rp. verrechnen darf. Im August werden die hiesigen Versorger die Stromtarife für 2023 bekanntgeben. Petit rechnet mit einer Preiserhöhung im zweistelligen Prozentbereich. Denn mit dem Ausbruch des Kriegs in der Ukraine sind die Preise abermals immens gestiegen.

Und das, obwohl sich an der Schweizer Stromproduktion aus Wasser- und Atomkraftwerken in den vergangenen Monaten kaum etwas geändert hat. Dennoch steigt der Preis, weil der Gaspreis einer der wesentlichen Treiber des Grosshandelspreises für Strom ist. Das hängt mit dem sogenannten Merit-Order-System zusammen. Demnach bestimmen die Grenzkosten des Kraftwerks, das zuletzt ans Netz kommt, um die aktuelle Nachfrage zu decken, den Strompreis. Oft handelt es sich dabei um ein Gaskraftwerk, weil es innert kurzer Zeit hoch- und heruntergefahren werden kann. Die Gaspreise sind in Europa in den vergangenen Monaten gestiegen – und damit die Grenzkosten der Gaskraftwerke und in letzter Konsequenz die Strompreise insgesamt.

Ein anderes Marktdesign wäre theoretisch eine Möglichkeit, um die Strompreise vor den Exzessen beim Gas abzugrenzen. «In der EU wird diskutiert, als Sofortmassnahme Gas aus der Merit Order herauszunehmen», sagt Michael Frank, Direktor des Verbands Schweizerischer Elektrizitätsunternehmen. Allerdings sei jetzt kaum der richtige Zeitpunkt für grundsätzliche Änderungen am Marktdesign.

Wer selbst Strom produziert, hat Gelegenheit, an der Strompreishausse mitzuverdienen. Für Romande Energie sollte das immerhin indirekt möglich sein über die 29,7%-Beteiligung an Alpiq, dem nach Axpo zweitgrössten Schweizer Stromproduzenten. Doch 2021 schrieb Alpiq Verlust, unter anderem, weil der Konzern wegen der hohen Preise selbst in die Bredouille kam. Da das Atomkraftwerk Leibstadt für Revisionsarbeiten länger ausfiel als geplant, musste Alpiq die bereits vorab verkaufte Energie, die Leibstadt nun nicht produzieren konnte, teuer am Markt einkaufen. Daraus folgende Liquiditätsengpässe verleiteten den Konzern gar zum Hilferuf an den Staat.

Inzwischen hat Alpiq die Bitte um «Liquiditätsunterstützung» wieder zurückgezogen. «Die umfassenden operativen Massnahmen im Energiegeschäft, zusätzliche Kredit- und Garantielinien von Banken, aber auch kurzfristig bereitgestellte Überbrückungsfinanzierungen der Aktionäre haben den Handlungsspielraum und die Widerstandsfähigkeit markant erhöht», teilt Alpiq zur derzeitigen Liquiditätsversorgung mit.

Für Versorger mit wenig Eigenproduktion bleibt, diese auszubauen. Das ist die Strategie von Romande Energie: «Unser Ziel ist es, 50% des Stroms selbst zu produzieren», sagt Petit. Energiedienst und BKW, die anderen beiden an der Börse kotierten Schweizer Energieversorger, haben es diesbezüglich besser. Sie produzieren in der Schweiz mit ihren eigenen Kraftwerken mehr Strom, als ihre Kunden brauchen, und können den Rest an der Börse verkaufen. Allerdings ist der Spielraum, um die Rekordpreise auszunutzen, begrenzt. Die Versorger verkaufen den Grossteil ihrer Stromproduktion zwei bis drei Jahre im Voraus zu vorab bestimmten Preisen, die vor zwei Jahren einiges tiefer waren als heute.

Kohle, Atom, Erneuerbare

Energiedienst ist auch stark von der Witterung abhängig. Das deutsch-schweizerische Unternehmen betreibt viele Flusswasserkraftwerke. CEO Jörg Reichert machen die niedrigen Wasserstände Sorgen: «Im Rhein beträgt der Durchfluss derzeit 550 Kubikmeter pro Sekunde. Normal wären um diese Jahreszeit etwa 1000 Kubik.» Und er hält fest: «Der Druck auf die Versorger ist so gross wie noch nie.»

Die Schweiz deckt lediglich 15% ihres Energiebedarfs mit Gas, knapp die Hälfte kommt aus Russland. Romande Energie kauft nur kleine Gasmengen als Reserve für die Fernwärme von lokalen Gaslieferanten. Energiedienst setzte 2021 252 Gigawattstunden Gas ab, was knapp 3% des gesamten Absatzes entsprach. Das Gas stammt vom deutschen Mutterkonzern EnBW, der seinerseits den Grosshandelsmarkt für die Beschaffung nutzt. Auch die Berner BKW kauft Gas am Grosshandelsmarkt und über Ausschreibungen. Im Halbjahr stammten 0,8 von 4,4 Terawattstunden Stromproduktion aus fossil-thermischen Kraftwerken. Zahlen zum Gaseinkauf nannte BKW auf Anfrage nicht.

Stärker als die Schweiz exponiert ist Deutschland. Gas deckt 27% des gesamten Energieverbrauchs ab, 55% des Energieträgers bezog Deutschland bis anhin aus Russland. Die deutsche Uniper, Tochter des finnischen Versorgers Fortum, betreibt ein Viertel aller Kraftwerke mit russischem Gas. Darlehen von 987 Mio. € an die Gaspipeline Nord Stream 2, die weiteres Gas von Russland nach Europa hätte bringen sollen, schrieb Uniper vor wenigen Tagen ab. Seit Kriegsbeginn hat sich der Marktwert des Konzerns zweitweise halbiert. Auch die französische Engie leidet unter den Banden nach Russland, unter anderem über die Beteiligung an der bestehenden Gaspipeline Nord Stream 1.

Dass auch die Valoren von Eon unter Druck sind, erstaunt auf den ersten Blick, bezieht der Konzern doch keinerlei Gas aus Russland. Nach einem Tauschgeschäft mit RWE konzentriert sich Eon auf das Endkundengeschäft und produziert selbst kaum noch Strom; insofern befindet sich der Konzern in einer ähnlichen Lage wie Romande Energie. Die Beschaffungspreise steigen, die Möglichkeit, die Kosten weiterzugeben, sind beschränkt.

EU legt Plan vor

Die EU-Kommission hat diese Woche den Entwurf des Repower-EU-Plans vorgelegt, um die Abhängigkeit von russischem Gas zu verringern. Bereits im laufenden Jahr will die Union die Importe von jährlich rund 200 Mrd. Kubikmeter russischem Gas um zwei Drittel reduzieren. Kurzfristig sollen andere Gaslieferanten zum Zug kommen. Auch ein vermehrter Einsatz von Kohlekraftwerken und Laufzeitverlängerungen für Atomkraftwerke sind im Gespräch. Zudem sollen Massnahmen für Energieeffizienz und der Ausbau der erneuerbaren Energien entschiedener vorangetrieben werden.

Die Grossbank UBS zeigt in einem Szenario, welche Massnahmen wieviel beitragen könnten. Ohne Energieeinsparungen durch Privathaushalte und die Industrie wird es zumindest in der kurzen Frist kaum gehen, und die Preise dürften weiter steigen. Die EU bringt daher auch die Möglichkeit zur Preisdeckelung ins Spiel. In Frankreich ist ein solcher staatlicher Eingriff in den Markt bereits erfolgt. Auch in der Schweiz werden Klagen über die hohen Preise lauter. Damit sind auch Petits Hoffnung auf Preiserhöhungen als Ausweg Grenzen gesetzt.

Erschienen in: Finanz und Wirtschaft, Nr. 20, 12. März 2022

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