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Baumwolle boomt wie lange nicht

Dürre und Importsperren machen Baumwolle so teuer wie zuletzt vor zehn Jahren. Das werden mittelfristig auch die Konsumenten zu spüren bekommen.

Mara Bernath

Leggings statt Jeans, Wollpulli statt Anzugshemd, Regenjacke statt Blazer. Baumwolle war ein prädestinierter Coronaverlierer, zusammen mit Lippenstift und Büroräumlichkeiten. Doch Totgesagte leben länger. Nach einem Preissturz auf 51 US-Cent pro Pfund zu Beginn der Pandemie setzte langsam aber stetig die Erholung ein. Seit dem Tiefpunkt im Frühjahr 2020 hat sich der Preis mehr als verdoppelt und notiert Mitte Februar bei 1.22 $ pro Pfund, so hoch wie zuletzt vor zehn Jahren.

Kontrakte für eine Lieferung im März sind bereits seit Dezember deutlich teurer als die Futures, deren Käufer erst im Mai ihre Baumwollballen bekommen. Mit anderen Worten: Die Fabriken wollen jetzt Baumwolle, und es gibt nicht genug davon. Die hohe Nachfrage für Baumwolle beziehungswiese die Fehlkalkulation, dass der Textilkonsum langfristig zurückgehen würde aufgrund der Pandemie, ist ein Grund für die hohen Preise. Zudem ist wie so oft im Agrarmarkt das Wetter schuld: Die Bauern in Texas haben mit Dürre zu kämpfen und auch in Indien bleiben die Regenfälle aus – das verringert die Ernte der wasserintensiven Baumwollpflanze. Um genug Baumwolle für ein T-Shirt und eine Jeans herzustellen, braucht es 20 000 Liter Wasser.

China-Kontroverse

Eine weitere Ursache für den Preisanstieg ist geopolitisch: Die Zwangsarbeit von Uiguren auf den Feldern in der chinesischen Provinz Xinjiang hat zum Boykott der dortigen Baumwolle geführt – zumindest in den wichtigen Märkten Nordamerika und Europa (wobei die Schweiz keine Sanktionen ergriffen hat). Die chinesischen Spinnereien müssen seither mehr Baumwolle importieren, um die westliche Textilnachfrage zu befriedigen. Und das obwohl nirgends so viel Baumwolle wächst wie in China.

Seit den Sechzigerjahren ist China der weltweit grösste Baumwollverarbeiter. Während der Konsum der Endprodukte wie T-Shirts und Karton die Nachfrage treibt, wird die Richtung des Güterflusses vom Standort der Spinnereien bestimmt. Die Mehrheit des Garns wird in südostasiatischen Ländern mit tiefen Löhnen hergestellt. Obwohl die Produktion zunehmend an günstigere Standorte wie Vietnam und Bangladesch abwandert, haben die westlichen Sanktionen dazu geführt, dass China wieder mehr importiert als in den vergangenen Jahren.

Davon profitieren die Bauern in Brasilien und den USA, doch richtig freuen können sie sich nicht, denn ihre Produktionskosten sind ebenfalls gestiegen: Arbeit, Düngemittel, Maschinen – alles kostet mehr als noch vor einem Jahr, insbesondere in den USA. Zudem trocknet in Texas und Oklahoma, wo ein Grossteil der US-Baumwolle wächst, der Boden aus. Das könnte die Aussaat und den Ertrag im nächsten Erntejahr, das im Sommer beginnt, negativ beeinflussen.

Deshalb ist noch nicht klar, ob die hohen Preise an den Börsen die Bauern dazu bewegen werden, tatsächlich mehr Baumwolle zu pflanzen. Zudem haben auch andere Agrarprodukte wie Soja, Mais und Weizen Höchststände erreicht und sind attraktive Alternativen. Deshalb kann es durchaus sein, dass das Angebot weiterhin nicht mit der Nachfrage mithalten kann und dass die Baumwollrally noch eine Weile anhält.

Türkei profitiert

So sind die Hauptprofiteure der Entwicklung, dass China langsam aber sicher den Podestplatz der Baumwollverarbeitung abgibt, andere: Einerseits Indien, das jedes Jahr mehr Felder mit Baumwolle bepflanzt, andererseits die Türkei. Während die globale Baumwollnachfrage dieses Jahr 3% wachsen wird, prognostiziert das US-Landwirtschaftsministerium eine Zunahme der türkischen Nachfrage nach Baumwolle von 10%. Grund sind Veränderungen in den globalen Lieferketten: Textilhersteller wollen ihre Produkte so schnell wie möglich in den Läden haben. Das ist aus der Türkei dank Bahn und Lastwagen schneller möglich als via die verstopften Frachthäfen in Südostasien.

Ausserdem wollen insbesondere die US-Textilgiganten ihre Abhängigkeit von China reduzieren, und anders als in Bangladesch, Vietnam und Kambodscha finden sich in türkischen Spinnereien kaum Fasern aus Xinjiang, die in vielen westlichen Staaten nicht importiert werden dürfen. Zudem macht die Zollunion der Türkei mit der EU den Handel einfacher und günstiger. Auch wenn die Abwertung der Lira den Import des Rohstoffes verteuert, macht die schwache Währung die Endprodukte wiederum attraktiver für den Export.

Vielseitige Verwendung

Aus einem guten Drittel der globalen Baumwollernte werden Textilien, aus dem Rest entstehen Wattepads, Tierfutter, Düngemittel, Öl und Verpackungsmaterial. Die vielseitige Verwendung und die globalisierten Handelsrouten machen Baumwolle anfällig für Preisschwankungen. So wurden die Preisspitzen von 2010/11 durch eine Kombination aus hohen Ölpreisen, verteuerten synthetischen Fasern, schwierigen Wetterbedingungen und einer erstaunlich hohen Nachfrage verursacht. Die Rally war damals aber nur von kurzer Dauer, weil die künstlichen Fasern wieder günstiger wurden und die Nachfrage aus China abnahm.

Erschienen in: Finanz und Wirtschaft, Nr. 14, 19. Februar 2022

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